04.10.2012 - Schule
Ich ging"immer" den selben Weg zur Schule, beobachtete dabei "immer" die Verkäufer beim Aufbauen ihrer Marktstände, war täglich von den selben wissbegierigen Frauen umgeben, ging "immer" hinterher zu den gleichen ein, zwei Futterstellen, besuchte dann die Markthalle, dabei "immer" an den selben Obststand, wo die Pfirsiche so lecker sind und so wenig kosten, trank dann "immer" an der Bar von Claudio einen Caffé, der sogar auf seinen scontrini "Forza Fiorentina - per sempre forza viola" aufgedruckt hat.
(Der alltägliche Blick aus dem Fenster des Klassenraumes.)
Dieses "immer" würde am nächsten Morgen nach den letzten zwei Unterrichtseinheiten und dem Abschlusstest enden. Es ist schon seltsam, wie schnell man sich an einen neuen und komplett anderen "Alltag" gewöhnen kann!
In der Scuola Leonardo da Vinci läuft das Prozedere wie folgt ab: Ankunft, bei den Angestellten melden, man bekommt einen zweiseitigen Testbogen mit diversen Grammatikproblemen zum Ankreuzen (sehr, sehr leicht, da immer nur genau eine Antwort normales Italienisch ist, der Rest stammt aus Phantasia), dann sind als Freitext ein paar persönliche Fragen zu beantworten der Art: Woher kommst du, warum möchtest du Italienisch lernen, wie sind deine Vorkenntnisse/wo erworben, wie lange schon, wie bist du auf genau diese Schule gestoßen?
Eine der sehr freundlichen Angestellten fragt diese Sachen nochmal mündlich ab, um sich einen kleinen Eindruck zu verschaffen.
Da ich so gut wie alles im Multiple-Choice-Teil gewusst hatte, wollte sie mich recht hoch einstufen, ich fand "più basso" besser, um bessere Gesprächsfähigkeit zu erwerben.
Man bekommt dann ein Lehrbuch, ein Schulheft, und wird in einen Klassenraum geschickt. Die Anzahl der Teilnehmer schwankt wöchentlich ein wenig, da mancher nach Hause fährt, andere neu hinzukommen, im wesentlichen sind es 9 - 12 Leute. In unserem Falle waren wir sämtlich Frauen, von Mitte zwanzig bis zu mir. Ohne Umschweife sind vom ersten Moment an alle "per du" - Lehrer und Mitschülerinnen. Die meisten haben ein Universitätsstudium hinter sich - aber nicht alle.
Wir zum Beispiel stammten aus der Türkei, zwei Freundinnen aus Baden-Baden, davon eine ursprünglich aus der Schweiz, eine aus Polen, eine aus Kolumbien, eine aus NY, die jetzt in Florenz lebt, eine aus Schweden, eine aus Tschechien, eine aus Fukushima und E. stammte aus Mannheim.
Bei Teamarbeiten achten die Lehrer darauf, dass keine zwei gleichen Muttersprachler zusammen arbeiten. Transportsprache zur Hilfe, wenn mal etwas zu kompliziert ist, ist allgemein Englisch. Der Unterricht findet aber standardmäßig einsprachig Italienisch statt. Aber ich bin sicher, dass beide Lehrer noch mindestens (außer Englisch) Deutsch und Spanisch sprechen, gelegentlich wurden damit "schwergängige" Vokabeln geklärt.
Die ersten eineinhalb Stunden war Gianni bei uns und erklärte uns ein Kapitel Grammatik. Es wurden jede Menge Regelwerk, Merksätze und Beispiele an die Tafel und in die Hefte geschrieben, dann ein paar Übungen aus dem Buch gemeinsam gemacht bzw. besprochen, das Ganze gut gewürzt mit persönlichen Anekdoten oder Tipps, wo man hier essen gehen oder welchen Wein kaufen sollte, dass Fußball das Größte überhaupt ist und zu spät kommen cento Euro kostet. Hausaufgaben! Am nächsten Tag wurden diese im Schnelldurchgang durchgenommen, d.h. Gianni las die Lückentexte vor und wir ergänzten die geforderten Formen - wenn's gut lief, alle im Chor, oder wie er sagte "come in chiesa". "Domande?" Dann kam die nächste Einheit dran.
Eine Viertelstunde Pause, Beine vertreten, Essen, Trinken...
Es erschien Patrizio auf der Bildfläche, menschlich ein ganz anderer Typus, aber wie Gianni großartig pantomimisch begabt und mit der typisch italienischen Gabe der großen, ausladenden Gesten - evtl. unseretwegen auch übertrieben? Meistens zur Erklärung der Bedeutung einer Angelegenheit, eines Begriffs - diese wurden nämlich gerne mit völlig abstrusen Geschichten erklärt. Mit Lachen lernt es sich eben besser.
Patrizio war zuständig für die Konversation. Er brachte uns alle zum Reden. Anfangs das Übliche, siehe oben: woher, Beruf, Familie, warum Italienisch etc. Allgemeine Lektion 1 für Anfänger in jedem Lehrbuch. Das flutschte natürlich, und alle entspannten sich etwas.
Einfach waren die Stunden, in denen wir erzählen können, was wir z.B. am Wochenende unternommen hatten, handelte es sich um Ausflüge, ergänzte er sie noch um Sachinformationen. (Es fiel auf, dass die Herren eine sehr, sehr umfangreiche Allgemeinbildung besitzen und praktisch zu jedem Thema mit Sachverstand etwas beisteuern konnten.) Damit es auch etwas schwieriger wurde, gab es zwei Versionen:
Nr. 1: Es wurden verschiedene Zeitungsartikel ausgeteilt, zu zweit sollten diese unterschiedlichen Artikel durchgearbeitet werden (Patrizio ging herum und erklärte notfalls Vokabeln), um dann Bestandteil des Klassengespräches zu werden. Da ging es z.B. um die Kosten für Familien mit Kindern in Italien, Verdienst, Miete, Schule etc. oder um die verschiedenen Ernährungsgewohnheiten früher und heute, gesund/ungesund usw. Mein Pech, dass ich jedes Mal Artikel mit Statistiken bekam, ich hasse Zahlen und bin nicht die Beste im schnellen Auswerten.
Nr. 2: Wir mussten einem Gesprächspartner etwas erzählen (Familie, Arbeit, Reisen, Hobbies, Filme), der schrieb sich das auf und referierte das dann hinterher vor der Klasse. Das war lustig und interessant, weil wir so auch einiges übereinander erfuhren. Ich betrachtete es als Glück, dass ich häufiger (ungerade Teilnehmerzahl) das Vergnügen hatte, direkt mit Patrizio zusammen zu arbeiten. So bekam ich "druckreifes" Italienisch angeboten, und es ging für mich dann um Verständnis und Wiedergabe - kein Problem, wenn kein Fremd-Muttersprachler zwischen geschaltet ist und die nötige Unterstützung (Vokabeln) direkt bei einem sitzt.
An einem Tag hatten wir zu lernen, wie Briefe zu schreiben sind, Höflichkeitsformen, Anrede, Schluss, höfliche Ausdrucksweise etc.
Die Unterrichtseinheiten orientieren sich - auch wenn ein wöchentlicher Ein- und Ausstieg problemlos möglich ist - an zweiwöchentlichen Abschnitten, in denen jeweils ein Buch durchgearbeitet wird.
Der in dieser Zeit (hoffentlich) eingebläute Grammatikteil für B1-Intermedio 1 beinhaltet:
* Vokabelaufbau
* Modalverben transitiv/intransitiv bzw. aktiv/passiv
* Wiederholung Passato prossimo/avere-essere
* Direkte und indirekte Pronomen (Akkusativ/Dativ) - endlich!
* Wiederholung der Pronomen ("una cosa caotica, come in casinò!")
* Imperfetto
* Condizionale semplice
* Condizionale composto
* Trapassato prossimo, avverbi di tempo
* Gerundio semplice
Was ich jetzt gebraucht hätte, war ein Computerchip im Gehirn, der das alles hätte abspeichern können!
Am Ende steht dann "der wichtige Test", die Lehrer zwinkerten immer mit den Augen, wenn sie ihn erwähnten, und dafür hatten wir eine wahre Flut von Wiederholungsaufgaben auf bekommen.