Hi all,Ondina hat geschrieben:Also ok, überredet! Ich erkläre mich bereit, dies theoretisch zu glauben,
wo ihr doch so leidenschaftlich für Garribaldi eintretet.
Hoffe aber noch immer auf eine Kostprobe, dieser schlummernden Leidenschaft und des Sanftmutes unseres Volkshelden
Ansonsten nehme ich es persönlich, dass das immer nur außerhalb dieser heiligen Hallen passiert
Saluti O
vielen Dank an die Damen für die ritterliche Verteidigung,
ich denk’, kaum jemand wird schnell oder leichtfertig mit Garibaldi verglichen…. ein echtes Kompliment…. Wenn das der Morris hört….

Was Ondinas Neugier angeht, kann es schon sein, dass ich das nicht immer so richtig zeigen kann,
aber ich find’ in und an Italien eine ganze Menge gut, was ich aber, und da hat Ondina recht, nur selten zugebe, und noch seltener kundtue, aus Schiss davor, dass dann impulsiv der Reflex kommt „Siehste, Italien ist das schönste Land der Erde, mit den ältesten Altertümern, den kunstvollsten Kunstschätzen, den temperamentvollsten Temperamenten“ usw., was dem Land nicht im mindesten gerecht würde.
Warum es ihm nicht gerecht würde? Weil der wahre Schatz Italiens woanders liegt, was Ihr ja auch hier und da im Forum erzählt.
Ich weiss nicht, woran es liegt (möglicherweise an der turbolenten Geschichte weiter Teile des Landes, an den Hausse-Phasen in den zivilisatorischen Errungenschaften und im mitunter auch sehr tiefen Fall), aber man hat in Italien seit langem geschnallt, dass es für den Einzelnen allein nicht klappen kann, wenn er sich für den Anderen nicht interessiert.
Daher ist man oft sehr daran interessiert, verstanden zu werden, und hat tausende Mittel parat, um möglichst klar und ehrlich verstanden zu werden und die Message des anderen aufnehmen zu können. Dabei ist völlig uninteressant, welcher Sprache, sozialer Schicht, welchen Geschlechtes, Alters, Aussehens usw. der Andere ist, man wird sich notfalls mit Händen und Füssen verständlich machen. Man weiss, dass das Vonsichetwaspreisgeben den Gegenüber auf seine Seite zieht und ihn ebenso öffnet. Generell geht man davon aus, dass der Andere Andere von Natur aus gut ist (was ich am Anfang nur schwer begreifen konnte), d.h. man hat von Beginn an hohe Erwartungen, die schlimmstenfalls enttäuscht werden könnten, aber durch den Vorschuss an Kredit gleich Wohlwollen und Interesse wecken, warum das denn so ist.
Man weiss allgemein, dass Reichtum, Wissen, Macht, Ansehen usw. sehr vergänglich sein können, deswegen lässt man sich durch den Schein nur schwer beeindrucken. Was nicht heissen muss, dass man die Früchte der Arbeit oder des Glücks nicht in der Lage wäre zu geniessen…
Auch deswegen müssen Menschen, die nicht der „Norm“ entsprechen, nicht mit dem sozialen Stigma leben, sondern sind allgemein ziemlich gut akzeptiert, was nicht überall auf der Welt der Fall ist.
Das findet man im Kleinen wie im Grossen, im privaten wie auf wirtschaftlichem Parkett und nicht zuletzt auf politischen Parkett, wobei die Grenzen verwischen....
Wer hat nicht schon bei Bruno Vespas Porta a porta das detailverliebte Interesse der eingeladenen Gäste und des Showmasters bestaunt, die, selbst wenn sie streiten, aufeinander eingehen, zusammen neue Punkte beleuchten, und selten stur auf der eigenen Position beharren. Kenn ich so aus anderen Ländern nicht.
Auf der gleichen Schiene fahren Dokumentarshows wie Geo, Vascello Terra, …. legendär Superquark mit Piero Angela und Margherita Hack, viele andere Sendungen mit und von Enzo Biagi, Gianni Bisiach und viele andere….
Ich bin immer wieder baff, wie tolerant man gegenüber andersartigem Benehmen sein kann: Ob das im Restaurant oder im Zug der Halbkriminelle ist, der es wagt, sich eine Zigarette anzuzünden, oder die quäkenden Kinder in der Kirche oder im Konzert. Oder die über Jahrzehnte metergross wehende rote Flagge mit dem Konterfei Che Guevaras über der Galleria in Mailand, dem Konsumtempel schlechthin (ist die da eigentlich immer noch?). Don Camillo und Peppone wissen ganz genau, dass sie einander brauchen.
Cool auch die Älteren in den Bars, in denen sich über politische, sportliche oder allgemein gesellschaftliche Themen ausgetauscht wird. Das sind alles andere als „abgestellte Pensionäre“.
Die Liebe zum Detail ist beachtlich, und das schlägt sich durch bis auf die Verwaltung, die jahrtausendealte Tradition hat, und durch sie ist Italien gross. Das römische bzw. auch das ital. Rechtssystem (allen Unkenrufen zum Trotz) ist dem germanischen tausendfach überlegen, und auch deshalb ein Exportschlager. Technokraten haben seit jeher Hochkonjunktur, und erst das ermöglicht überhaupt den modernen Staat (von daher haben die Palästinenser eigentlich gar keine schlechten Karten, denn da ist das auch so). Meiner Meinung nach ist es nicht so treffend zu sagen, in Italien regiere das Chaos. Chaos höchstens in den Augen des Aussenstehenden. So hat mir schon als Teenager ein Eisenwarenladenbesitzer in der Jesreel-Ebene, der aus Mannheim stammte, den Verkehr in Mailand erklärt. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie recht er hatte, fand das alles später in Mailand, wo ich durch Zufall gelandet war, haargenauso wieder.
Anders ging es ja auch gar nicht.
Wenn der Wirtschaftsaufschwung in West- und Mitteleuropa nach 1945 schon enorm ist, so ist jener Italiens geradezu phänomenal. In den 30er Jahren betrug das Verhältnis in der Wirtschaftskraft zwischen D und I eins zu sieben, das muss man sich einmal vor Augen führen (wobei fairerweise allerdings gesagt werden muss, dass die 20er Jahre in D ausserordentlich prosperierend waren – in the contrary to popular belief - , während Italien erst in den 1950ern das Niveau von 1915 wiedererreicht)…
Wissen ist in Italien generell nicht sehr teuer, viele interessante Bücher gibt’s am Kiosk für relativ oder auch wirklich wenig Geld (wer erinnert sich nicht an Il sapere 1000 Lire?)
Irgendwie haben urbane Strukturen auch auf dem Land Einzug gehalten, und das ist äusserst angenehm….
Zum Beispiel….
Ist jedenfalls meine Sichtweise.
LG